Choralphabet
Waltraud Bauer zu Ehren
Bei Waltraud Bauer, der Ehefrau unseres Kantors Siegfried Bauer, war ich in den 90er Jahren mit meinen Rückenschmerzen in physiotherapeutischer Behandlung. Das tat mir gut. Gut tat Waltraud uns allen durch ihre friedenstiftende Rolle im Chor, auch in der Beziehung zu unserem Dirigenten, zu dem sie ja ein besonderes Verhältnis hat. Ich begegnete Waltraud an jedem Dienstagabend in der Chorprobe, sie im Tenor, ich im Bass. Oft war sie meine Nebensitzerin. Zu ihrem Geburtstag im November 1993 bekam sie von mir - wohl in einer Chorprobe - den folgenden Geburtstagsgruß:
Du kannst an meinen Blicken merken:
Ich danke dir für Deine Kunst.
Du tatest mir den Rücken stärken,
den ich mir leider hab' verhunzt.
Du bist des Chors geheime Mutter,
und der Tenor ist dein Revier.
Mein rauher Bass wird weich wie Butter,
singst, Nachtigall, du neben mir.
Du siehst, du bist mir mehrfach teuer,
gymnastisch, chorisch und auch so.
Ich wünsch' dir am Geburtstag heuer:
Bleib an des Kantors Seite froh!
Wilfried Brandt,
Bass 1982 - 2001
Handy und Noten im Wasserbad
„Du tropfst“, empfing mich lakonisch mein Göttergatte, als ich im Mai 2015 in gehobener Stimmung von einer Probe zu „Paulus“ im Ennui zum spätabendlichen Imbiss eintraf. Gemeint war natürlich meine Tasche und nein, es hatte nicht geregnet. Der Blick hinein - eine kalte Dusche. Denn tatsächlich war der Boden zentimetertief mit Wasser bedeckt und mittendrin mein geliebtes Nokia E75. Um nicht die Probe durch das Zischen der Wasserflasche zu stören, hatte ich sie nicht mehr ganz zugeschraubt und in diesem halbgeöffneten Zustand in die Tasche befördert. Das Handy war leider nicht mehr zu retten. Ich tröstete mich damit, dass wenigstens die Noten dank Mappe verschont geblieben waren. Schon von Anbeginn meines Kantoreisingens (Johannespassion 1977 mit 14 Jahren) sind nämlich die Klavierauszüge mit all ihren Eintragungen meine persönliche Trophäen zu jedem Konzert. Daher kommt es, dass ich von manchem Werk mittlerweile zwei oder beim Weihnachtsoratorium sogar schon drei Ausgaben habe – die erste enthält die Eintragungen von meinem lange verstorbenen Vater.
Ulrike Schuckert,
Sopran seit 2003
Die lustigen Weiber von Ludwigsburg
Ja, eine Chorfahrt, die ist lustig, eine Chorfahrt, die ist schön. Vor allem wenn man sich völlig unbeobachtet fühlt. Hochzufrieden saßen Birgit, Doris, Christiane und Margret auf der Heimatfahrt von Montebeliard in unserem Doppeldeckerbus oben in der ersten Reihe und freuten sich des Lebens. Sie schwätzten und lachten und lachten und schwätzen. Obervernügt. Das war ein so lustiger Anblick, dass der Busfahrer sich und seine Nebensitzer in der ersten Reihe unten, Tobias Horn und Wolfgang Gaub, immer wieder unbemerkt zuschaltete. Die Busfahrer dürfen, ja müssen “das obere Stockwerk” beobachten. Doch dieses Mal hatte er einen guten Grund, die Szene da oben zu überwachen. Denn merke: Auch geteilte Freude ist doppelte Freude.
Gertrud Schubert,
Sopran seit 1997
Willkommen?
Trotz meiner ersten Begegnungen bin ich in der Karlshöher Kantorei hängen geblieben. Die waren nämlich nicht so nett … Mit Sprüchen wie „Aha, Sie sind neu und sitzen schon in der zweiten Reihe!“ oder „Wir wären ihnen alle sehr dankbar, wenn sie leiser singen würden!“, habe ich mich zunächst nicht sehr wohl gefühlt. Dennoch habe ich mich durchgebissen, viele schöne Singstunden genossen und tatsächlich auch wohlgesonnene, liebe Freunde gefunden.
Mirijam Bäßler,
Sopran seit 2014
Johann, wohin?
“Eilt, eilt, ihr angefochtnen Seelen” singt der Bass in der Johannespassion. Und der Chor lässt sie mit pausenreichen und zahllosen Wohin-Einwürfen in alle Himmelsrichtungen aufstieben und davonflattern. Die Noten sitzen. Gut sogar. Aber der Rhythmus? Wir sollen “Jo-hann wohin” immer mit der Betonung auf die zweite Silbe singen. Reicht das? Wie hat Siegfried Bauer das gemacht? “Der hat uns das gar nicht singen lassen”, erklärt eine erfahrene Sängerin. Da mussten die Solisten ran. Oha, Johann! Und wir – wohin? Die Nervosität im Chor wächst. Generalprobe in der Friedenskirche, unausweichlich naht die Angststelle. Der Bass hebt zu seinem Solo an. Gleich kommt das erste Wohin. Tobias Horn nimmt seine Hände dicht, ganz dicht vors Gesicht und dirigiert nur noch mit den Fingern. Siehe da! Pünktlich springen die Wohins aus unseren Kehlen. Aha! So geht das. Der Witz ist, viele haben gar nicht beobachtet, wie raffiniert Tobias Horn die Zügel angezogen hat. Sie haben einfach rausgeschaut und mitgemacht. Respekt!
Gertrud Schubert,
Sopran 1997
Rosa Wolke
Mozarts Requiem im Urban Harbor in Ludwigsburg – das war das Finale einer lang gehegten Vision. Schon jahrelang hatte ich den Umbau der Industriebrache an der Schwieberdinger Straße beobachtet und gedacht, es wäre wunderbar, hier einmal einen Input durch die Kantorei zu liefern: Kirchenmusik am Alltagsort – wo früher Kühlschränke und Fräsmaschinen hergestellt wurden und heute Think Tanks an gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen arbeiten. 2017 war die Zeit gekommen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Der erste Besuch im Speisewerk, dem Herzen des städtischen Hafens, war faszinierend. Da hängt eine kunstvoll gestaltete, bewegliche Wolke über den Esstischen des zentralen Hallenbaus und schafft eine Verbindung vom betonfesten irdischen Grund zu den lichten Höhen der Dachkonstruktion. Und: Sie kann Farbe annehmen. Für mich wurde sie die rosa Wolke. Das Konzept “Himmelwärts” war geboren. Seit diesem Erlebnis spürte ich eine antreibende Energie für das Konzertprojekt im November 2018.
Ursula Göz,
Sopran seit 1993
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Sechs Kantaten in sechs Gottestdiensten
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